Der perfekte Tag, die perfekte Welle, das perfekte Leben – Perfektion ist etwas Wunderbares. Alles passt zusammen. Alles ist harmonisch. Wir brauchen nichts mehr hinzufügen oder wegnehmen. Deswegen müssen wir uns keine Gedanken machen. Wir können uns einfach zurücklehnen und die Vollkommenheit genießen.
Gerade weil Perfektion so schön ist, wollen viele von uns gerne perfekt sein. Gebt es doch zu! Aber gleichzeitig wissen wir genau, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist. Na gut. Wenn es schon mit der eigenen Perfektion nicht funktioniert, wäre es wenigstens schön, perfekte Arbeit abzuliefern. So verlangen es bei vielen Profis der Ehrgeiz und der Ehrenkodex.
Bei mir ist es zumindest immer wieder so: Ich könnte Stunden um ein Wort ringen, damit ein Text noch wirkungsvoller ist, Ewigkeiten an Argumentationen arbeiten, um die Eloquenz einer Rede zu erhöhen oder die Folien einer Präsentation so lange hin und her schieben, bis ich nicht mehr weiß, was ich präsentieren will.
Ist das gut?
Ja – wäre ich Ingenieur für Atomkraftwerke, Pilot oder Herzchirurg. Es gibt Fälle, in denen der Anspruch an Perfektion durchaus positiv ist. Wer will schon bei einer Operation von einem Arzt behandelt werden, der ein großzügiges Laissez-faire als Basis für seinen Beruf sieht? Wer will schon in einem Flugzeug fliegen, in dem der Kapitän den Sicherheitscheck nur als eine Empfehlung ansieht?
Nun mache ich aber Wirkungskommunikation. Ich gestalte Ideen, kreiere Konzepte, erzähle Geschichten und schreibe Inhalte. Eines meiner Hauptwerkzeuge dafür ist meine Kreativität. Ist Perfektion in diesem Fall genauso relevant wie zum Beispiel bei der Entwicklung eines Impfstoffes?
Hmmm. Erste Zweifel kommen auf. Klar: Ich will meinen Kunden das bestmögliche Ergebnis liefern. Aber was ist das beste Ergebnis? Bei kreativen Arbeiten lässt sich Perfektion nicht so einfach bestimmen. Die Qualität meiner Arbeit unterliegt sehr subjektiven Maßstäben: Das, was die einen genial und ultrakreativ finden, bewerten andere als durchgeknallten Vollschrott, der nur von arbeitsscheuen Künstlern aus Berlin unterboten wird.
Nut gut. Aber man könnte doch etwas erschaffen, das so vielen Menschen wie möglich gefällt. Wenn man dann ein Optimum an Gefälligkeit erreicht hat, wäre die Arbeit perfekt. Ja. Das kann man machen. Aber! Gingen alle meine Kollegen ähnlich vor, würden sich unsere Arbeiten sehr ähneln. Es gäbe wenig Abweichungen. Alles wäre in eine Richtung gestaltet: Mein Produkt soll möglichst allen gefallen.
Dann hätten wir alle Ecken und Kanten mit dem Sandpapier des Gefallens abgeschliffen, so dass nur noch Beliebigkeit übrigbliebe. Das Ergebnis ist dann irgendwie schön, glatt, etwas steril und vor allem langweilig.
Das wusste auch einst der Kameramann von Billy Wilder. Er galt zu seiner Zeit als einer der besten Beleuchter in Hollywood. Seine Arbeitsweise? Zunächst hat dieser Mann das Filmset so gut es ging ausgeleuchtet. Jeder Schatten, jedes Licht, jeder Übergang von Helligkeit zur Dunkelheit wurde perfekt gesetzt. Als diese Arbeit erledigt war, ist dieser Kameramann herumgegangen und hat jedem Scheinwerfer einen kleinen Tritt verpasst, so dass die Perfektion ein klein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht wurde.
Ich mag diese Geschichte. Sie unterstützt mich in meiner Überzeugung, dass das Unperfekte eine Arbeit erst interessant macht.
Ein weiterer Kronzeuge dieser Auffassung war der koreanische Künstler Nam June Paik. Er hat seine Einstellung zu Perfektion pointiert auf den Punkt gebracht: „When too perfect lieber Gott böse.“ Das ist eine gute und entspannte Haltung und dazu ein Zitat, mit dem er es bis in die Liga der geistreichen Kaffeebecheraufdrucke geschafft hat.
Es dient also durchaus unserer Arbeit, wenn wir uns NICHT von einem Perfektionsanspruch verrückt machen lassen. Mehr noch: Mit einem gerüttelt Maß an Unperfektion, machen wir unsere Produkte interessanter, auffälliger und auch etwas kontroverser. Etwas, was auch unseren Kunden zugutekommt.
Darüber hinaus schonen wir unsere Nerven und unsere Zeitreserven, wenn wir alles etwas lockerer angehen lassen. Also: Lasst Euch nicht von Eurer eigenen Perfektion verrückt machen, sondern geht Eure Projekte entspannt und unperfekt an.
Seid Ihr allerdings Ingenieure, Chirurgen, Piloten oder Ähnliches – hört bitte nicht auf meine Worte. Wenn Ihr zum Beispiel erfolgreich ein Herz transplantiert habt, ist es eine tolle Arbeit. Seid stolz auf das Ergebnis. Ihr braucht wirklich nicht noch einmal dagegen zu treten, damit es besser wirkt.